FORDERUNGEN

Sechs Wochen lang haben wir Rabatz gemacht und daraus ein Fazit gezogen. Doch wir persönlich hassen Leute, die nur meckern und keine Lösungen vorschlagen. Deswegen wollen wir auch das nicht versäumen. Hier ein Versuch:

Natürlich kennen wir radioeins. Auch BR Puls und Deutschlandfunk Nova. Tatsächlich haben wir in den letzten Wochen so viel Radio gehört wie wahrscheinlich nie in unserem Leben und uns wieder neu verliebt. Was für ein knattergeiles Medium! Doch auch die Sender, die sich alternative Popmusik erlauben, tun das immer mit Abstrichen. BR Puls existiert nur digital und spielt zwar fast ausschließlich neue Musik, aber auch die in einem engen Klangkorsett und Musikgeschichte fehlt. Auch Deutschlandfunk Nova gibt neuen Künstler*innen viel Platz, ist am Ende aber ein Inforadio, bei dem Musik eher als Trenner zwischen den Themen des Weltgeschehens platziert wird, sie ist nicht der Inhalt des Senders. radioeins ist alt, vielleicht könnte man es am ehesten als das Rolling-Stone-Magazin des ÖR bezeichnen, sowohl in Musikauswahl als in Ansprechhaltung. Neue Musik hat es hier schwer, wenn sie nicht wie alte klingt und wir fühlen uns viel zu jung für die Moderator*innen und Themensetzung dort. Zudem sind radioeins und BR Puls lokale Radiosender. Wer nicht in Bayern oder Berlin wohnt, verliert hier eventuell auch schnell das Interesse. 

Es gibt mehr positive Beispiele, viele öffentlich-rechtliche Radiosender haben Fenster für neue Künstler*innen – doch wenn es um die Rotation im Tagesprogramm (6-18 Uhr) geht, die Zeit, in der die meisten Menschen Radio hören, wird die Auswahl dünn.

Was wäre also das Traumszenario am Ende dieser Interviewreihe? Es gibt zwei Varianten, die wir uns vorstellen könnten: Bestehendes verbessern oder einen neuen, leuchtenden Stern schaffen.

Einerseits wünschen wir uns die ein oder andere Schuppe, die bei den Sendeverantwortlichen der bestehenden öffentlich-rechtlichen Jugend-, Pop- und Kulturwellen von den Augen gefallen ist, sei es durch unsere Texte oder durch die Kommunikation, die drum herum entstanden ist. Da denken wir natürlich vor allem an die reichweitenstarken Sender. 1Live, DasDing, Fritz, Sputnik, Das Ding, N-Joy… Wir wünschen uns, dass wir vielleicht ein paar Ängste nehmen und ein bisschen Mut entfachen konnten. Doch diesen Wunsch hatten schon viele und er wurde ein ums andere Mal mit fadenscheinigen Argumenten unter den Tisch gekehrt. Die ÖR-Sender sind voll von motivierten Musikredakteur*innen, die nicht können, wie sie wollen, das hat uns das Feedback auf dieses Projekt gezeigt. Doch die Kriterien der Menschen in den Entscheidungspositionen scheinen andere zu sein als die, die der Rundfunkstaatsvertrag vorsieht. Wir haben das Gefühl, dass Entscheidungen vor allem nach Profitabilität getroffen werden und am Ende nur den kleinsten gemeinsamen Nenner treffen. 

Vielleicht waren die Forderungen bisher einfach nicht radikal genug

Wie wäre es also mit andererseits: einem komplett neuen öffentlich-rechtlichen Musiksender für Deutschland! Ein richtiges Musikradio, ein Sender, dessen Aufgabe es ist, das Land mit interessanter Musik zu versorgen, Hörkompetenz zu bilden und Hörgewohnheiten herauszufordern. Terrestrisch und deutschlandweit.

Diese Voraussetzungen müsste ein öffentlich-rechtliches Musikradio erfüllen: 

  • Der Sender schafft Platz für Newcomer*innen und fokussiert sich auf die Vorstellung neuer Musik; sie ist gleichberechtigt mit der kompletten Musikgeschichte der letzten 60 Jahre.

  • Die Musikauswahl besticht durch Diversität, sowohl im Klang, als auch in den gespielten Künstler*innen (Genre, Herkunft, Gender). Eine Quote gibt es nicht, doch Ziel ist es, den heimischen Musikmarkt zu stärken, weswegen Musik aus Deutschland (egal in welcher Sprache) viel Raum einnimmt.

  • Der Sender bildet eine Alternative zu anderen Radiosendern, in dem er sich deutlich vom Mainstream abgrenzt. Es werden vor allem Spartenmusikstile wie Indie, Punk, Jazz, Funk, Techno, Metal, Pop, Hip-Hop, R’n’B und deren Subgenre gespielt. Das heißt nicht, dass keine Hits laufen, sie sind allerdings nur ein Teil vom großen Ganzen. Jedes Genre darf jederzeit passieren und ist nicht an bestimmte Strecken gebunden. Der Sender hat keinen bestimmten “Sound”, er besticht vielmehr durch einen vielfältigen Umgang mit Musikgenres. Die musikalischen Möglichkeiten des Senders sind endlos.
      
  • Die Moderator*innen und DJs sind Expert*innen auf ihren jeweiligen musikalischen Gebieten.

  • Music is entertainment. Der Sender hat keinen Anspruch auf Hochkultur. Er will auch nicht so klingen. Die Ansprechhaltung ist locker, informativ und auf Augenhöhe, ohne flapsig zu sein.

  • Es gibt keine Beiträge zu anderen Themen wie Politik oder Wirtschaft. Alles hat einen Bezug zu Musik. Themen wie Literatur, Film oder Kunst sind denkbar.

  • Die Einschaltquote spielt bei diesem Sender eine untergeordnete Rolle. Er erfüllt die immens wichtige Aufgabe des Nachwuchsaufbaus und der Vielfaltssicherung. Ein neuer Sender braucht Zeit, sich zu etablieren, und muss mindestens fünf Jahre laufen, um einer vollwertigen Evaluation unterzogen werden zu können.

Vielleicht hätte dieses öffentlich-rechtliche Musikradio einen klassischen Programmaufbau mit sieben Livesendungen pro Tag. Jede Sendung hätte feste Moderator*innen, sowie feste Redakteur*innen/ Producer*innen, alle aus den unterschiedlichsten musikalischen Backgrounds. Die Sendungen könnten an jedem Wochentag mit denselben Teams laufen. 

An den Wochenenden könnte es spezielle Genre-Sendungen oder Personality-Sendungen geben, vielleicht als Spielwiese für den moderierenden Nachwuchs. Auch diese Sendungen hätten einen festen Platz und feste Teams. 

Die Hot-Rotation des Senders würde vielleicht etwa 30 Titel in A, B und C Listen umfassen, die jeweils freitags mit neuen Songs geupdated werden. Diese dienen zur Etablierung neuer Künstler*innen. Die Sendungsmachenden füllen die restlichen Slots in ihren Shows selbst auf. Es gibt keine feste Musikplanung außerhalb der Hot-Rotation. 

Auch Livemusik könnte eine große Rolle spielen. Eine Live-Session pro Tag wäre das Ziel.

Wir wissen, was ihr jetzt sagen wollt und ja, ihr habt Recht: ByteFM erfüllt sehr viele dieser Kriterien. Ist aber auch das perfekte Beispiel, warum wir die Zugkraft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks brauchen. ByteFM ist ein Privatsender, der sich nur über seine Hörer*innen finanziert. Ein super Konzept, führt aber zu einem relativ kleinen Budget. Die meisten Mitarbeitenden hier arbeiten ehrenamtlich. Könnt ihr euch vorstellen, was ByteFM mit der monetären Power des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein könnte? Hier und da hört man, dass es schon Bemühungen gab, ByteFM in den ÖRR einzugliedern.

Natürlich würde das Geld kosten. Im Vergleich zu den bestehenden Programmen, wäre ein Musikradio allerdings schon fast aus der Kaffeekasse zahlbar. Deutschlandradio hat zum Beispiel ein Budget von 276 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung (für alle drei Wellen). Ein Musikradio ließe sich für deutlich weniger als 90 Millionen realisieren. BBC 6 Music zum Beispiel hat pro Jahr ein Budget von 12 Millionen Pfund

Eine schöne Utopie, oder?

Und doch bräuchte sie sehr wenig, um wahr zu werden. Durch all unsere Gespräche rund ums Thema können wir mit Sicherheit sagen, dass es von Hörer*innenseite Bedarf und von Macher*innenseite Handlungswillen gibt. 

Und wer weiß, vielleicht führen uns die Überlegungen rund um dieses Thema auch in eine ganz andere Richtung. Auch wir sind uns bewusst, dass Radio für die nachwachsenden Generationen nicht mehr das Medium of Choice ist. Den Bedarf an musikalischer Vielfalt kann man sicher auch anders abdecken; es kann sein, dass wir am Ende bei einem völlig anderen Ergebnis rauskommen. Wie wär’s mit… einem öffentlich-rechtlichen Streaming-Service? Einer Art öffentlich-rechtlichen Mediathek für Musik analog zu der für Filminhalte?

Eine Mail an uns und wir stehen auf der Matte.

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