Double J – Australien

Mein Blick über den Tellerrand endet natürlich nicht an der Grenze Europas. Auf der Suche nach öffentlich-rechtlichen Radios, die sich ausschließlich mit Musik beschäftigen, gehe ich die Extrameile und sprichwörtlich bis ans andere Ende der Welt. Welcome to the land down under!

Wenn ich an Musikradios aus Australien denke, kommt mir Triple J in den Sinn. Ich kann aber gar nicht genau sagen warum. Denn ich habe ehrlicherweise noch nie in diesen Sender reingehört. Die Zeitzonen-Problematik macht das auch nicht so einfach. Dennoch hat es die Strahlkraft des Senders, als ein gutes Beispiel für öffentlich-rechtliches Jugend- und Musikradio mit alternativem Sound, bis zu mir geschafft. Die machen da scheinbar irgendwas richtig. 

Neben Triple J gönnt sich ABC, die Australian Broadcasting Corporation – der öffentlich-rechtliche Rundfunk Australiens – noch sechs weitere nationale Musikradios. 

Da sind: 

  • Triple J Unearthed – ein Sender, der 24 Stunden am Tag ausschließlich australische Popmusik spielt
  • ABC Jazz
  • ABC Classic
  • ABC Classic 2 – für alle, die während ihrer Lieblingsopern keine Moderationen hören wollen
  • ABC Country 
  • Double J – ein weiteres alternatives Popmusik-Radio 

Die geballte Musikoffensive im öffentlich-rechtlichen Radio. Das gefällt mir natürlich. Spannend daran finde ich aber vor allem, dass es mit Triple J und Double J zwei Sender für alternative Popmusik gibt. Wie es dazu gekommen ist? So: 

Double J entstand aus dem Sender ABC Dig Music, den ABC Anfang der 2000er nutzte, um digitale Ausspielwege, also DAB Radio, zu testen. Im Jahr 2014 gliederte man Dig Music an Triple J an und entschied sich, den Sender umzubauen. Die Idee war, eine Musik-Plattform für Triple J-Hörer*innen zu schaffen, die aus dem Programm von Triple J herausgewachsen sind. Ein Radio-Altenheim, wenn man so will, für die, die auf Grund von Jobs oder Familien keine Zeit mehr haben, jeden Popkultur-Trend mitzunehmen, aber immer noch an neuer Musik, alten Bangern und Konzerten interessiert sind. Dass man für diese Menschen extra einen Musiksender schafft, finde ich echt krass. Vor allem mit dem Hintergrund, dass es so eine Art öffentlich-rechtliches Musikangebot in Deutschland einfach nicht gibt. Also weder für die jungen noch für die alten Hörer*innen. Grund genug, um mal bei Double J anzuklopfen!

Logo: Double J

Bevor es losgeht, sei hier aber noch erwähnt, dass Triple J bis in die 1980er Jahre selbst Double J hieß. Die Namensänderung zu Triple J kam erst mit der Umstellung von AM-Frequenz auf FM-Frequenz. Dass man den alten Namen nun für den neuen Sender nutzt, soll die enge Verbindung beider Sender verdeutlichen. Außerdem teilt man sich Mitarbeiter*innen, Managementpositionen und andere Ressourcen. 

So, und weil das jetzt schon sehr viele Informationen waren, machen wir eine kurze Pause und schauen uns ein Video an, in dem die Moderatorin Myf Warhurst eine winzige Gitarre auf einer Monitorbox kaputt haut und dann die allererste Double J-Moderation ins Mikrofon spricht. Los geht’s!  

„There is something pleasurable about being part of something that is being enjoyed by someone else at the same time.“

Seit dem 30. April 2014 läuft Double J digital via DAB+, als Stream im Netz und, wie in Australien üblich, im normalen TV Netz. Im Jahr 2020 war Double J mit rund 235.000 Hörer*innen pro Woche der dritterfolgreichste digitale Sender in Australien. Im Unterschied zu Triple J sendet Double J aber kein durchgehend moderiertes Programm. Es gibt zwar tägliche Sendungen, über weite Strecken laufen aber unmoderierte Playlisten. Die Frage, warum Menschen dann nicht einfach eine Spotify-Playlist anmachen, drängt sich mir auf. 

“Well, you know, 30 years ago you could choose to listen to CDs and not the radio, too, right.”, sagt Ryan Egan und lächelt mich dabei an. Egan ist Station Manager, also Double-J-Senderchef. 


Er fährt fort: 

“I think the streaming services are brilliant and do a particularly good job of being a library of all the music that’s ever been released. But that’s also a pretty daunting thing for a lot of people. Radio on the other hand is such a brilliant medium in its simplicity. If there’s a radio station that you trust, that has a community of listeners and presenters and has music that you enjoy listening to, it’s very easy to press just one button and let it make the decisions for you. There is something pleasurable about being part of something that is being enjoyed by someone else at the same time. It makes you feel like you’re part of something a little bit bigger.”

ABC/Michelle Grace Hunder

Dieses Gefühl, Teil einer Community zu sein, ist schon immer ein Grund, warum Menschen das Radio einschalten. In den letzten Jahren haben Pandemie, Lockdowns und Kontaktbeschränkungen dazu geführt, dass der Radiokonsum weltweit gestiegen ist

Was Double J außerdem klar in die Karten spielt, ist die eingangs angesprochene Nähe zu Triple J. Denn wer mit Triple J aufwächst, weiß, dass es irgendwann an der Zeit ist, das Rädchen weiterzudrehen und zu Double J zu wechseln. Die Hörer*innenüberführung funktioniert. Monica Tan, eine australische Journalistin, beschreibt ihren eigenen Übergang von einer Triple J- zu einer Double J-Hörerin so:

“Switching to Double J was like coming to terms with the fact it was time to try on a size 12 dress after a lifetime of size 10s. I found it fit like a glove. I loved it, much like the way I loved Triple J as a teenager.”

„Playing very mainstream and a narrow range of music is a great way to keep people listening so you can sell advertising. We don’t have to do that.”

Double J hat somit ein relativ klares Bild, wer seine Hörer*innen sind, wo sie herkommen, was sie mögen und was nicht. Im Umkehrschluss bedeutet das außerdem, dass sich Double J absolut gar keine Gedanken um die viel umkämpften 14-29-jährigen machen muss. Man muss sich nicht permanent verjüngen und kann sich auf die Zielgruppe der 30-50 jährigen konzentrieren, die eben im besten Fall schon mit dem Schwester-Programm aufgewachsen sind. Das ist durchaus eine ziemlich komfortable Lage. Und dennoch finde ich es außergewöhnlich, dass sich ein öffentlich-rechtliches System neben den schon bestehenden nationalen Musiksendern einen weiteren leistet. Und dann auch noch einen, dessen Sound man als Alternative-Pop abseits des Mainstream bezeichnen kann. Schauen wir auf die Pop-Sender in Deutschland geht die Entwicklung ja eher in die entgegengesetzte Richtung. Wie also funktioniert das?

“I wouldn’t say we are trying to be an alternative or niche station. We want to have broad appeal. But I think we do offer an alternative to commercial DAB+ radio stations. We’re focused on being distinct. We also have different priorities to commercial media. Playing very mainstream and a narrow range of music is a great way to keep people listening so you can sell advertising. We don’t have to do that.”

Damit hat Ryan Egan Recht. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist in der wunderbaren Position, einigermaßen werbeunabhängig produzieren können. Eine programmatische Annäherung an die Privaten ist darum totaler Quatsch. Warum das im deutschen öffentlich-rechtlichen Radio dennoch so oft passiert, verstehe ich nicht. Man wird damit auf Dauer nichts gewinnen, denn es geht ja nicht um den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern um die größtmögliche Breite. 

“When you listen to Double J you may not love or recognise every single song. Sometimes we play quite provocative and sometimes very edgy music. Our audience tell us they listen to discover new music so that makes up a large proportion of our playlist. And we play music that people who listened to Triple J when they were younger would recognize and enjoy as well. We can’t play every artist and there are artists played on commercial radio that don’t get a lot of airplay on Double J. Sometimes they are played on other ABC radio stations though. We just have different priorities. The public can be equally as well served by us as a public broadcaster by prioritising a range of music that is still high quality and has a broad appeal. There’s a public out there who are underserved and unserved by commercial media. For us these are music fans, people who have a very deep love for music. They’re people who go to gigs. They’re an audience that’s very actively music oriented in their lives. And they have different and often wide tastes in terms of genre. As a public broadcaster, we try to give them something unique and special. And at the same time, we are always looking for who’s not being catered for? What’s not being supported, whose voice isn’t being heard and what could be a cool place to go musically.”

Ich klebe an seinen Lippen.

“The difference between us and the private media is, the private media generally does things to increase profits. But I’m not here to make myself or my company rich. I want to make the lives of our audience richer through great art, amazing ideas and useful information. And I want to entertain them in ways that they wouldn’t otherwise be entertained or even challenge them a bit musically.” 

Damit hätten wir das Interview beenden können. Klassische mic-drop-situation. Ryan Egan lächelt mich wieder an. Wahrscheinlich weiß er, wie viel Freude diese Worte in mir auslösen. Ein öffentlich-rechtliches Radio, was seine Hörer*innen bereichern und sogar ein bisschen herausfordern will. Ich mag wirklich alles daran. 

„We’re funded by public money and so one of our jobs is to reflect back Australian culture and celebrate Australian culture.“

Bevor ich ihn gehen lasse, will ich aber noch wissen, wie das mit der Musik funktioniert. Wie wird entschieden, welche Songs gespielt werden? Er gibt mir darauf einen Disclaimer, dass er als Senderchef eher für das große Ganze verantwortlich und nicht ins Tagesgeschäft und die Musikprogrammierung involviert ist. Dennoch beschreibt er mir den Prozess ganz gut. 

Es gibt eine Musikredaktion, die die Sendungsplaylisten erstellt. Einzelne Moderator*innen und Redakteur*innen, die eine bestimmte Musik-Expertise haben, werden in den Prozess aktiv eingebunden. Egan nennt diese den “brains trust”, die Beratergruppe. Die Playlisten bestehen aus neuen Songs und alten Hits, den “gold tracks” – die Songs, die die Hörer*innen noch von Triple J kennen, die dort aber nicht mehr laufen. Daten wie Spotify-Plays oder Instagram-Follower*innen werden zwar registriert, spielen aber keine ausschlaggebende Rolle. Ob es ein Song auf die Playlist schafft oder nicht, hängt am Ende nur von der Qualität der Musik selbst ab. Außerdem betreibt Double J keine Marktforschung (Also Umfragen, ob ein Song beim Publikum ankommt oder nicht. In Deutschland ein beliebtes Tool.). Auf die Hot-Rotation werden jede Woche zehn neue Titel gepackt. Neben einer angestrebten Genre- und Genderparität, sind mindestens fünf dieser neuen Songs von australischen Bands und Künstler*innen. Die Unterstützung der Popkultur des Landes spielt eine übergeordnete Rolle.

“We are very lucky in Australia. We have a really incredible music scene that is strongly supported by the ABC in general, but also by Triple J and by us. We take it very seriously and we’re very proud of it. We’re always looking for better ways to support Australian artists and support great Australian music. Obviously we’re funded by public money and so one of our jobs is to reflect back Australian culture and celebrate Australian culture. Australian music making is part of that. And our audience have grown up going to gigs, watching Australian artists, buying their albums, supporting them. We do the same thing.”

Im Gegensatz zu anderen Sendern in Australien spielt Double J außerdem bereits etablierte Künstlerinnen, die älter als 30 sind. Das klingt jetzt erstmal nach einem merkwürdigen Fakt. Dass aber vor allem nicht cis-männliche Artists weniger in Playlisten, auf Festivalbühnen,… (die Liste könnte hier endlos weitergehen) stattfinden, als ihre männlichen Kollegen, ist kein Geheimnis. Das ist nicht nur in Australien ein Problem, sondern auch hier bei uns. Die MaLisa Stiftung hat 2022 in Kooperation mit der GEMA und Music S Women* die Recherche „Gender in Music – Charts, Werke und Festivalbühnen“ in Deutschland durchgeführt. Darin wird klar, dass egal ob beim Songwriting, in den Charts, bei GEMA Mitgliedschaften, oder auf Festivalbühnen: der Frauenanteil bleibt in allen Bereichen weit unter einem Fünftel. Wenn die Künstlerinnen dann auch noch ein gewisses Alter überschritten haben, wird es nochmal schwieriger mit der medialen Präsenz.  

Dieser aktive Support führte Anfang 2022 dazu, dass die Songwriterinnen Kate Miller-Heidke, Missy Higgins, Kasey Chambers und Sarah Blasko eine Petition starteten, die eine FM-Frequenz (und eine damit einhergehende Reichweitenvergrößerung) für Double J forderte. Die Petition war erfolgreich und die von Anthony Albanese geführte australische Regierung hat nun eine Studie in Auftrag gegeben, die feststellen soll, ob eine weitere FM-Frequenzvergabe möglich ist. (Diese Vergaben sind ultra kompliziert. Hier mal am Beispiel Deutschland erklärt.) 

Die Chancen stehen aber gut, weil Double J wertvolle Arbeit macht, eine leidenschaftliche Community hat und die heimische Musikszene unterstützt. Und weil Anthony Albanese selbst ein Musichead ist. Neben seinem Job als Premierminister hat er eine Karriere als DJ Albo (kein Witz!) mit Vorliebe für Gitarrenmusik vorzuweisen. In seiner ersten Regierungsansprache 2022 zitierte er aus Billy Braggs “To Have and To Have Not” und bei Treffen mit anderen Staatsoberhäuptern tauscht man gern auch mal Platten. Herzerwärmend! 

In Deutschland haben wir weder ein bundesweites öffentlich-rechtliches Musikradio, noch – und das vermute ich jetzt hier einfach mal – einen Bundeskanzler, der seinen Gästen Vinyl schenkt. Mindestens eins davon würde ich echt gern ändern. 

Anmerkung: Das Gespräch mit Ryan Egan habe ich am 13. März 2023 via Zoom geführt.

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