FM4 – Österreich

Das erste Interview der Reihe “Wo ist hier der Krach?” führt mich nach Österreich. Ein Land, das in den 70ern mit dem beneidenswert selbstbewussten Slogan “Zum Glück gibt’s Österreich.” um Touristen warb. Nicht schlecht! Darum soll es hier jetzt aber nicht gehen. Mich interessiert natürlich die Popkultur des Landes. Und da muss man als Musikfan aus Deutschland neidlos anerkennen, dass dieses kleine Land – wir sprechen hier von gerade mal knapp 9 Millionen Menschen – seit ein paar Jahren verhältnismäßig viele richtig gute alternative Bands exportiert. Wanda, Bilderbuch, Ja, Panik – klar!

Doch vor allem die “kleineren” Acts wie My Ugly Clementine, Kerosin 95, Schwester Ebra oder Sharktank treffen sowohl mit ihrem Sound als auch mit ihren Themen absolut den Nerv unserer Zeit und zeigen: die österreichische Musiklandschaft abseits des Mainstreams ist bunt, divers und absolut professionell. Und ein musikbegeistertes Publikum in Deutschland nimmt das dankend an. Die Lineups von Festivals wie dem Immergut, dem Maifeld Derby oder dem Haldern Pop kamen 2022 nicht ohne Künstler*innen aus Österreich aus. Eine sicher unvollständige, aber sehr gute Playlist österreichischer Bands gibt es HIER

Was ist der Kitt dieser breiten, alternativen Szene? Warum ist die österreichische Alternative-Popmusik so erfolgreich? Und hat da eventuell auch ein öffentlich-rechtlicher Radiosender seine Finger im Spiel? Spoiler: Ja!

Aber von vorn. 

FM4 ist der Sender, den wahrscheinlich jede*r schon mal im Urlaub in Bayern oder in den Alpen gehört hat. Zuerst ist man da immer etwas verwundert über das Kauderwelsch der Moderationen. Sätze beginnen auf Englisch und enden auf österreichischem Deutsch. Moderator*innenteams können sich nicht auf eine Sprache einigen und als Hörer*in wird man schon mal mit “Liebe Listeners” angesprochen. Alles etwas, na ja, merkwürdig und ungewohnt für das deutsche Radio-Ohr. Hat man sich aber erstmal drauf eingelassen, überrascht FM4 mit einer frischen Art des Kulturjournalismus, mit leidenschaftlich herausgearbeiteten Themen, mit Humor, der nicht albern ist und mit sehr viel, sehr guter Musik abseits des Mainstreams. 

Logo FM4

Los ging alles im Jahr 1995. Im Zuge der Privatradio-Einführung in Österreich befürchtete der ORF (der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Österreich) zu viel Konkurrenz für sein Flaggschiff-Radio Ö3 durch private Anbieter. Das Programm von Ö3 wurde daraufhin glattgezogen, Ecken und Kanten entfernt und der Sender zu einem chartigen Hitradio umgebaut. Junge, wenig mainstreamkonforme Inhalte lagerte man dafür auf das neu geschaffenen FM4 aus. Das erste Mal ging FM4 am 16. Januar 1995 um 19 Uhr auf Sendung. Damals teilte sich der Sender eine Frequenz mit dem internationalen Blue Danube Radio. Diese ersten Sendeminuten sind zum Glück für die Ewigkeit festgehalten. Wir hätten sonst nie erfahren, dass die Moderatorin und österreichische Radiolegende Angelika Lang einigermaßen zu spät im Studio ankam, ihren Kaugummi auf das Mischpult klebte und dann arschcool die Worte ”Willkommen zuhause. Das Ding heißt FM4.” ins Mikrofon hauchte. 

Seit 2000 sendet FM4 allein auf der Frequenz. Die damaligen Mitarbeiter*innen von Blue Danube Radio wurden übernommen, genau wie der mehrsprachige Anteil des Programms. Die Attitüde ist nicht mehr ganz so rebellisch wie in den ersten Minuten und doch spielen Subkultur und alternative Musik immer noch eine übergeordnete Rolle. 



Wie das alles funktioniert, wo doch links und rechts die Programme immer glatter geschliffen werden, wollte ich von Dodo Gradištanac wissen. Gradištanac ist seit 2022 Programmchefin des Senders. In unserem Gespräch erlebe ich sie als leidenschaftliche Vertreterin der Nische und “der Bobos”, wie sie es nennt. Also der liberalen Jugend, die auf der Suche nach nichtkonformistischen Werten ist. 

Ich eröffne unser Gespräch mit der Frage, warum denn alles so gut läuft bei FM4, obwohl der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer mehr seine Kanten aus den Radioprogrammen streicht, und bekomme Gegenrede: „Ganz so einfach ist es auch bei uns nicht. Es wurde ja auch öffentlich über eine komplette Neupositionierung [Anmerkung: des Senders] nachgedacht.“ 

Foto: ORF/Roman Zach-Kiesling

„Die Gründergeneration von FM4 ist mitgealtert“

Tatsächlich knirscht es zwischen dem ORF und FM4 immer mal wieder. Das ist sicherlich das Los eines progressiven Senders in einem öffentlich-rechtlichen System. Doch seit einiger Zeit ist die Kritik so laut, dass man sie selbst hier in Deutschland hören kann. ORF Generaldirektor Roland Weißmann formulierte diese 2021 so: “In seiner Ausrichtung als Jugendradio verfehlt FM4 sein Mission Statement und ist in der erreichten Zielgruppe zu spitz positioniert.“ Schaut man auf die Zahlen, leuchtet diese Aussage sogar erstmal ein. Das Durchschnittsalter der FM4 Hörer*innen liegt mittlerweile bei 37,8 Jahren, also weit über dem eines “jungen Angebots” (normalerweise 14-29). Wie kann das sein?

“Es ist ein bisschen wie immer im Leben nicht ganz so schwarz-weiß. Wir sind ein Popkultur-Radio. Die Gründergeneration von FM4 ist mitgealtert“, sagt Gradištanac. 

Das starre Festhalten an Altersgruppen mag sie nicht, wenngleich sie weiß, dass es natürlich nicht ohne Verjüngung gehen kann. Man versucht die jungen Menschen abzuholen – mit kuratierten journalistischen Inhalten, die nicht brav und angepasst sind, mit Musik abseits der Charts, mit metoo-Debatten, die man startet und nicht “nachblökt”, mit Trends und Content, den die Kids von Plattformen wie TikTok kennen und mit Events wie dem FM4 Frequency Festival, bei dem die Besucher*innen im Schnitt nicht älter als 25 Jahre seien. Ebenso verjüngt man das Team des Senders. In der werktäglichen Sendung OKFM4 ist jede*r Moderator*in unter 25 und auch in der Musikredaktion setzt man mehr auf die Gen Z. 

„Es wäre umso fataler, auch die am Erhalt der Demokratien und am Erhalt des ORF interessierten Gruppen zu verlieren.”

Doch die Kritik geht weiter. Im September 2022 phantasierte ORF Radiodirektorin Ingrid Thurnher im Standard darüber, dass FM4 ja ein junges Ö3 werden könnte (was mit einer kompletten Mainstreamisierung der Inhalte einhergehen würde). Dieses Statement bekam eine überwältigende Gegenrede aus der Musikbranche Österreichs sowie einen offenen Brief der FM4-Redaktion an Thurnher. Mittlerweile wurden die Aussagen zwar etwas abgefedert, die Diskussionen über eventuelle Veränderungen laufen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Textes aber weiter. Auch hier lohnt ein Blick auf die Zahlen. FM4 hat beim Radiotest 2022, der Marktanalyse österreichischer Radiosender, als einziges ORF-Radio seinen Marktanteil minimal ausgebaut. Mit rund 280.000 Hörer*innen pro Tag ist der Sender aber nach wie vor der reichweitenschwächste der ORF-Radiogruppe. Die Frage, warum man trotzdem an Subkultur und Nische festhält und nicht mehr Durchhörbarkeit schafft, muss also gestellt werden. 

Natürlich ändert sich der Blick auf FM4, um nicht zu sagen, man blickt mit einer gewissen Sorge oder mit einem gewissen Unverständnis auf uns. Daher war mir sehr schnell klar, wir müssen die Antwort der Relevanz geben. Wir müssen die Antwort geben, die soziologisch erwiesen ist. Und zwar, die der Milieus, die wir bedienen. Die Zukunftsmilieus. Die vorwärts gewandten. Die Milieus, die Bio gekauft haben, als es noch keine Bio-Linien beim Discounter gab. Die verlachten Bobos, die iPhones hatten, wo andere noch nicht wussten, wie ein Touchscreen funktionieren soll. Dass diese Schichten per Definition im Kleinen sind, ist logisch. Aber sie sind sehr wichtig, weil sie voller Multiplikator*innen sind. Daher muss es ein Angebot beim ORF für diese Milieus, für diese Lifestyler geben. Ansonsten droht die Gesellschaft ja komplett auseinander zu driften. Wenn öffentlich-rechtliche Sender im Zuge von Corona zum Beispiel Teile der Gesellschaft und ihre Credibility drohen zu verlieren, wäre es umso fataler, auch die am Erhalt der Demokratien und am Erhalt des ORF interessierten Gruppen zu verlieren.”

Und diese wollen nun mal Inhalte – sei es musikalisch oder thematisch – abseits des Mainstreams. FM4 bedient das mit Beitragen zu queeren Themen, zu Klima, Games, Popkultur, Comedy und natürlich mit Musik.

FM4 ist die wichtigste Partnerin der österreichischen Musikschaffenden.“

Ein reines Musikradio ist FM4 nicht. Aber Musik abseits der Charts ist dem Sender wichtig. Es gibt außerdem Themensendung wie “Tribe Vibes” (Hip Hop, RnB, Rap), “House Of Pain” (Metal, Alternative) oder “La Boum De Luxe” (elektronische Musik) deren Playlisten von den jeweiligen Autor*innen gebaut werden. Klassisches Autor*innenradio, an dem festgehalten wird, weil man damit, so Gradištanac, Szenen mit oft migrantischem Hintergrund anspricht, mit denen man unbedingt verbunden bleiben will. Neben vielen neuen, unbekannten Songs, schreckt man im Tagesprogramm aber auch nicht vor alten Hits von beispielsweise The Cure oder Weezer zurück. Und obendrauf fokussiert man sich auf die heimische Szene:

FM4 ist die wichtigste Partnerin der österreichischen Musikschaffenden. Wir spielen 40% österreichische Musik. Das war nie so hoch. Das wurde erhöht, pandemisch bedingt, weil die Konzerte weg waren. Weil wir unsere Partner*innen – die Veranstalter*innen, die Musiker*innen – unterstützen wollten. Unser Commitment senden. Quasi konkretisierte Solidarität. Und wir haben postpandemisch diese 40% beibehalten.”

Das sollte auch die Frage beantworten, warum die Szene des Landes so prosperiert. Fragt man mal nach bei Akteur*innen aus dem österreichischen Musikgeschäft klingt das dann so: “Der Kulturauftrag, den FM4 in Österreich erfüllt, ist von unschätzbarer Wichtigkeit für die Wertschöpfung der Kreativszene unseres Landes. FM4 ist in Österreich in vielerlei Hinsicht der wichtigste und relevanteste Partner für uns als Wiener Indie-Label und Verlag.”

Das sagt Jürgen Distler von Ink Music. Spreche ich in meiner Rolle als Musikjournalist mit Bands oder Künstler*innen aus Österreich lande ich fast jedes Mal im Laufe des Gespräches bei FM4. Die meisten erzählen total gern davon, wie sehr ihnen der Sender schon am Anfang ihrer Karriere geholfen und Selbstvertrauen gegeben hat. Sei es, weil sie dort gespielt wurden, oder weil sie andere Musiker*innen entdecken konnten, die quasi in ihrer Nachbarschaft leben. Das kenne ich in Bezug auf deutsche öffentlich-rechtliche Radios schlichtweg einfach nicht.

Zur musikalischen Ausgestaltung des Programms sagt Gradištanac dann noch diese großartigen Sätze: “Die Musikfarbe von FM4 ist sicher nicht mehrheitsfähig. Das muss einem aber egal sein, letztlich. Das ist ein eigener Wert.” Ich möchte laut “JAAAA!” schreien, halte mich aber zurück, denn sie ist noch nicht fertig: “Wenn wir sagen, wir sind der Rundfunk der Gesellschaft und wir müssen Programm für alle anbieten, dann müssen wir Programm für alle anbieten. Nicht Programm für jene, die sich für den Mainstream interessieren, sondern halt alle, alle.” 

Das ist eines der wichtigsten Argumente gegen die komplette Durchhörbarkeit. Natürlich muss ein öffentlich-rechtlicher Sender auch sperrig und nischig sein. Nur so schafft er es doch, eine Gesellschaft größtmöglich abzubilden und seinem Auftrag nachzukommen. Alle anzusprechen heißt eben nicht nur Programm zu machen, was vielen gefällt, sondern zu schauen, wo die Ecken sind, in die man noch nicht hineinsendet. Dodo Gradištanac hat das verstanden. Das FM4-Team hat das verstanden. Und man kann ihnen nur wünschen, dass sie diesen Weg weitergehen dürfen. Eine Mainstreamisierung des Senders wäre fatal für die Meinungsvielfalt und die Vielfalt der österreichischen Musiklandschaft. Man kann es nicht anders sagen: “Zum Glück gibt’s FM4!”

Anmerkung: Das Gespräch mit Dodo Gradištanac habe ich am 9. März 2023 via Zoom geführt.

Wenn du diese Reihe gut findest, unterstütze uns doch gern bei unserer Arbeit als Musikjournalist*innen mit einer Einmalzahlung.

Teilen: